Rosemarie Bus

Das mürrische Mädchen

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Auf einem Flohmarkt in Schliersee fiel sie mir zum ersten Mal auf. Misstrauisch schaute sie knapp an mir vorbei. Mit leicht schrägen Augen, als hätte jemand die Haare unter ihrem hohen Hut zu energisch nach hinten gezurrt. Ohne auf ihren Protest zu hören. Du tust mir weh, Mama.
Sie war eindeutig schlecht gelaunt, auch gelangweilt, aber gehorsam. In ihrem Alter saß man nicht gerne stundenlang still. Sie war sechzehn oder sogar noch jünger. Ihr feines blaues Kleid hatte einen Pelzbesatz am Ausschnitt und wenn man genau hinsah, konnte man den Gazeschleier sehen, der ihre Schultern bedeckte und vorne mit einer unauffälligen goldenen Nadel am Kleid festgesteckt war.
Der Verkäufer wollte 20 Euro für den Bildband mit ihr als Cover. Ich war zu geizig. Aber ich merkte mir den Maler. Wozu gab es Google?
Zu dem Zeitpunkt suchte ich für den neuen Roman nach irgendetwas, wofür eine reiche Frau bereit wäre, sehr viel Geld zu zahlen. Nicht eine Yacht oder einen Maserati, kein Kleid von Dior, kein schnell gekaufter Konsumartikel, sondern etwas, so sagt es die reiche Frau im Roman, das „meine Seele berührt.“
Petrus  Christus
Das mürrische Mädchen ist der Star der Berliner Gemäldegalerie. Gemalt um 1470 von dem Niederländer Petrus Christus. Ein kleines Ölporträt auf Eichenholz, nur 29 X 22 cm groß.
Im Museum hängt das „Bildnis einer jungen Dame“ hinter dickem Glas, das erlaubt, ganz nah ranzukommen, um es sich anzusehen, ohne dass gleich die Alarmglocken losgehen oder ein Museumswärter dich zurückscheucht.
Die Kunsthistoriker wissen nicht, wer das Mädchen ist. Die Goldstickerei an der Haube, ihr esquisites Halsband aus schwarzen und weißen Perlen, der weiße Pelz (Hermelin?) alles deutet auf ein reiches Mädchen hin. Vielleicht eine durchreisende Prinzessin, vielleicht eine Patriziertochter, so die Spekulationen.
Eine Mädchen jedenfalls, so meine Spekulation, das kürzlich noch unbeschwert durch die Wiesen und Wälder um Brügge streifte und jetzt festgezurrt unter der Haube ahnt, dass Erwachsensein kein Spaß ist.
Ein Gemälde, für das im Roman die fast reichste Frau Deutschlands 45 Millionen zahlen würde.

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